Dungeon World – Jennys trübe Gedanken


Der folgende Text stellt In-Character-Gedanken zu einem Wendepunkt im Leben von Jenny dar, einer Schurkin, die ich in einer Dungeon World-Kampagne spiele, in die unser Spielleiter die Strahd-/Ravenloft-Abenteuer in Barovia eingebettet hat. Zu diesen D&D-Abenteuern sind hier Spoiler versteckt, wenn auch nur angeschnitten. Da kann Jenny euch vielleicht zu viel verraten, falls ihr Barovia noch als Spieler bereisen möchtet.

Jenny - hier als Figur einer Schurkin mit Dolch und einer Ratte auf der Base

Jenny kommt aus der Großstadt Laral, kennt sich in den dortigen Gassen (und in den Katakomben darunter) aus. Ihr Leben spielte sich bisher wohl vor allem zwischen der Jagd auf Ratten (und Wertvollerem, wenn ich sie richtig verstanden habe) im Untergrund und der Laraler Taverne ihrer Freundin Flo ab. Dort hatte ich dann auch das Vergnügen, die beiden kennenzulernen. Dieses Leben geriet aber aus den ungewöhnlichen, aber festen Fugen, als sie dem falschen Magier ein Buch stahl und sich zu einem Museumsbesuch überreden ließ. Die nachfolgenden Geschehnisse überschlugen sich wohl und mir fehlt ein übersichtlicher Bericht. Doch hat sie sich dabei wohl auf einen gefährlichen Handel eingelassen.

Aus Vindariels Reisetagebuch

Jenny auf der Reise ans Ende des letzten Tages

oder

Jenny hätte lieber Seeräuberin werden sollen

Rollen

Jenny, genannt “Rattenmädchen”, daheim im Untergrund von Laral
Gladius, der ruhige  Waldläufer und Zygons Babysitter
Zygon, der “bunte Vogel” in der Gruppe, ein zygonischer Krieger
Picus, keine “halbe Portion” und mit dem Bogen ein Ass
Frida, die riesenhafte Barbarin mit der Vorliebe für Puppen
Tinro, der zerstreute Magier im besten Alter
Mordenkainen, der verrückte Magier (also noch verrückter als Tinro)

Die Reise zum Tempel

Die Gruppe ist früh in Vallaki aufgebrochen und die meisten stapfen schweigsam den Waldpfad entlang. Zygon steigt von Zeit zu Zeit auf, um den vor ihnen liegenden Weg zu erkunden und die Magier haben ein lockeres Gespräch über irgendwelche magischen Phänomene im Zusammenhang mit Träumen und Nebelbänken begonnen. Jenny schaut die meiste Zeit grimmig auf den Boden und knirscht abwechselnd mit den Zähnen oder lacht laut und schrill auf.

Jenny grübelt leise vor sich hin:
Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich in dieser entsetzlichen Gegend gelandet bin, um heute mein Leben wegzuwerfen und dieser Haufen von selbstverliebten Glücksrittern macht einfach mit? Vermutlich überlebt keiner den heutigen Tag und dieser arrogante Wirt vom Gasthaus Blauwasser hat einfach ein paar Gäste weniger. 
In Flos Gasthaus, daheim in Laral, da war es schön. Mit Tinro und seinem Buch fing es an. Warum habe ich es nur an mich genommen? Es lag so aufreizend unbeachtet auf dem Tisch – vermutlich hätte es eh nicht viel eingebracht. Tinro war es so wichtig. Ist es immer noch. Gestern hat er wieder irgendetwas hineingekritzelt. Wozu? Er ist doch auch morgen tot.

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Schreiben und Lesen wollte er mir beibringen. Lächerlich, das hätte ich nicht einmal gebraucht, wenn ich nicht ohnehin – Ach, zum Teufel! 

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Nett war es schon, dass er mir helfen wollte. Zaubern kann er mir ja nicht beibringen, aber hätte es nicht etwas Praktischeres sein können, als ausgerechnet diese Tintenklekserei? Oder hätte ich damit auch Schuldscheine fälschen können? Ich werde es nicht mehr herausfinden.
Vermutlich ist er einfach scharf auf mich, der alte Zausel. Huh, deshalb musste er mir bei seinen “Ausführungen” so nahe kommen, da bin ich mir sicher.
Aber immer noch besser als dieser ekelhafte van Richten! Der erstickt hoffentlich an dem, was er heute wieder im Blauwasser frisst und säuft. Dem haben ja sogar diese verdammten Pasteten noch geschmeckt, der hätte die auch weiter gefressen! Der Kerl kotzt mich so an – aber ich ekle mich vor mir selbst! Wie konnte es mir schmeicheln, dass er auf der Hinreise so um mich herum scharwenzelt ist! Grässlich!

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Die Pasteten… ich mag gar nicht daran denken…

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Eigentlich ist es doch gut so, dass ich heute sterbe. Wie konnte ich diese verfluchten Kuchen nur essen! Ich hätte es mir doch denken müssen! Viel zu gut waren die Pasteten und ich hätte doch merken können, dass da etwas nicht stimmt.
Viel zu lecker – in Laral hätte solches Futter, das auf der Straße verkauft wird, nie so zart und köstlich geschmeckt. Gute Straßenküche enthält halt ordentliches Rattenfleisch, auf dem man auch mal etwas herumkauen kann – habe ja selbst oft genug die Ratten verkauft. War nur lästig, ihnen vorher die Haut runterzureißen und die Schwänze abzuhacken. 

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Waldläufer GladiusApropos Futter – da kommt ja Gladius gerade aus dem Wald. Er hat mir eigentlich meine Arbeit gestohlen. Da hält er wieder ein Kaninchen in die Höhe, ganz bescheiden. Dabei weiß er ganz genau, dass ihm beim nächsten Feuer wieder alle gratulieren werden, wie toll er das wieder macht. Als ob Kaninchen Häuten so eine Kunst wäre. Oder das Fangen. Oder das Braten. Hab ich noch nie gemacht, aber kann ja wohl kaum anders sein als bei den Ratten oder den Katzen von Laral. Im Winter habe ich häufiger Katzen fangen müssen, die Ratten waren dann meist in ihren Löchern. Die eine schwarze, die ich habe laufen lassen, war so schön und so warm. Aber ich bin dann fast krepiert vor Hunger, in meiner Ecke in der Kanalisation. Trotz der Säcke und des Feuerchens aus Pferdemist.

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Gladius ist immer so still. Ob ihn auch etwas bedrückt? Weshalb ist er eigentlich dabei heute? Aus Gewohnheit? Ich glaube, er mag Zygon wirklich. Ob da was läuft zwischen den beiden? Das hätten wir doch irgendwie merken müssen. Oder Zygon ist einfach sein adoptiertes Baby.

Jenny lächelt und sucht den Himmel ab.

Portrait des Vogelmenschen Zygon

Dass Zygon nicht älter als 2 oder 3 Jahre alt sein soll, das kann ich einfach nicht glauben. Vielleicht verarschen mich hier alle? Vermutlich wissen sie alle, dass er viel älter ist, vielleicht auch sehr alt, vielleicht wird er auch wie Schildkröten sogar besonders alt?
Er redet manchmal so weise daher, wie ein Priester. Ach nein, nicht wie ein Priester. Gestern war er wieder so abweisend zu dem Priester der Morgenröte. Dank Zygon sitze ich jetzt nicht dort in einer Kapelle und bete den ganzen Tag. Ob mich das tatsächlich gerettet hätte? Zu einer Kriegerin des Herrn der Morgenröte gemacht hätte? Ich wäre eine lächerliche Gestalt, selbst wenn ich leben würde – ich, eine Kriegerin? Der Morgenröte? Erröten am Morgen, das geht mit mir vielleicht, hähähä.

Dass Zygon mit mir nach diesem blauen Magier suchen will, das ist edel. Edelmut – auf so etwas habe ich immer nur gespuckt. Diese lächerlichen Edelfrauen und Edelmänner in Laral sind einfach nur reiche Schnösel, die sich nicht dreckig machen wollen und guten Ratteneintopf auf die Straße spucken, wenn ein Schwänzchen rausschaut. 
Zygon putzt sich auch immer raus und schabt ständig mit seinem Schnabel an seinen Federn herum. Aber das ist etwas anderes, er sagt, dass er seine Federn pflegen muss, um fliegen zu können. Bei ihm bedeutet “edel” etwas anderes, das ist nicht geckenhaft. Er hat auch die anderen zusammengerufen und sie dazu gebracht, heute mit uns aufzubrechen. Das ist edel und gutherzig!

Jenny schnieft in ihren Ärmel. Sie starrt geradeaus und spuckt dann auf die Straße.

Nein, es ist Wahnsinn und er hat sie damit alle auf dem Gewissen!
Dieser blaue Magier – das ist doch mit Sicherheit eher ein Teufel – oder so eine Art Todesengel wie in Meckis eigenartigen Geschichten, die er mir immer erzählt hat. 

Aber ja – vermutlich war das genau so ein Engel, wie der, den ich im Traum gesehen habe, nach dem ersten Angriff der Werwölfe! Da, wo die Toten in den Bäumen hingen. Barovia ist so eine entsetzliche Gegend. Es gibt nicht einmal eine Stadt, nur diese Käffer und Wälder voller Toter und schrecklicher Hexen und Berge des Wahnsinns! 
Kein Wunder, dass hier alle völlig zurückgeblieben und verängstigt sind. 

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Dieser Engel im Traum hatte einen blauen Schild und ein blaues Schild. Er hat auch noch irgendetwas zu mir gesagt. Ob das einen Zusammenhang hatte mit dem blauen Magier? Oder dem blauen Licht, das wir manchmal sehen, seit die anderen den Seelenstein zum Explodieren gebracht haben? Das ist doch alles völlig bekloppt, warum ist denn das alles blau? 

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Auch die Gestalt, die ich in dem Gang unter dem Museum getroffen habe, war blau. Oder doch nicht? Da war ich auch gar nicht mehr in dem Gang. Ich war schon tot, Sonia hatte mich an der Kehle getroffen. Ich hätte das schon niemals überleben sollen. Diesen eigenartigen Handel mit der blauen Gestalt hätte ich nicht eingehen dürfen. Den Seelenstein klauen und weitergeben, wie hätte ich das jemals schaffen sollen? Der Stein wird von allen gesucht, deshalb sind wir ja hier. Ich hätte alle meine Freunde betrügen müssen, um den Stein zu stehlen und dann dieser blauen Gestalt zu übergeben.
Meine Freunde? Sind sie das?

Jenny schaut sich um, blickt auch zu dem am Himmel kreisenden Zygon.

In Laral war mir das egal. Ich hätte den Stein jederzeit geklaut und weitergegeben oder verkauft oder zerstört, Hauptsache ich lebe. Diese ganzen Leute wären mir egal gewesen, diese Verrückten, die heute für mich kämpfen wollen.

Jenny schluchzt.

Der einzige, der mich vermutlich versteht, ist Picus. Der war wenigstens auch so schlau, sich im Museum zu verkrümeln, als die anderen Narren den Troll geweckt haben. Eigentlich haben wir beide den anderen danach sogar den Arsch gerettet – was für ein Schuss von Picus! Aber dann ist der Troll wieder aufgestanden, dann wieder und wieder. 

Picus wäre mit Sicherheit nicht auf so eine idiotische Idee gekommen, dem Blauwasser-Wirt sein Geld zurückzugeben.
100 Münzen! Das hat der fette Kerl doch schon in seiner Kasse, bevor am Abend die Barden zu jammern anfangen. Aber dann steckt der mit den Raben unter einer Decke, woher soll ich das denn wissen? Unter einer Decke? Auf einem Ast? Oder wo schlafen die Mistviecher eigentlich? 

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Ach – sieh an!

Jenny, diesmal laut:
He, Picus, schau mal – dahinten hockt doch so ein Rabenvogel im Baum. Sie läuft zu dem Halbling und flüstert: Die beobachten uns sicher. Meinst du, wir können diesem “Clan” trauen? Du könntest ihn mit einem Pfeil vom Baum holen, oder?

Picus:
Seit Vallaki folgt uns der Rabe schon, oder es sind mehrere. Ich habe immer wieder einen gesehen. Aber auf den Vogel schießen werde ich nicht, ich will mir nicht denselben Ärger einfangen wie du. Vielleicht ist es ganz gut, wenn uns jemand folgt und sieht, was heute geschieht – oder die Raben können uns am Ende sogar helfen?

Jenny:
Bist halt clever, Picus, hast sicher recht. Du bist überhaupt schlauer als die anderen hier. Weshalb kommst du heute überhaupt mit? Das ist das Dümmste, was du gemacht hast, seitdem ich dich kenne. Außer überhaupt diese Reise nach Barovia anzutreten natürlich. Jenny zwinkert Picus zu

Picus, fröhlich:
Ach das wird schon. Wir haben doch schon viel überstanden zusammen. Frida, Gladius und Zygon werfen sich schon nach Vorne und halten das Schlimmste von uns ab und die beiden Magier erledigen dann den Rest. Trotzdem sollen wir zur Sicherheit versuchen, uns unbemerkt in eine gute Position zu bewegen. Du bist nur leider ein bisschen lang dafür, dich sieht man immer sofort. 

Portrait der Barbarin Frida

Jenny, gespielt entrüstet und jetzt laut, damit es alle hören können:
Du nennst mich lang und zu auffällig? Schau dir doch mal Frida an, oder Zygon. Die beiden könnten sich nicht einmal verstecken, wenn sie eine ganze Gasse dafür hätten. Und Tinro erst – er stellt sich sicherlich erst einmal höflich vor, damit auch jeder mitbekommt, dass er Ärger sucht.
Jenny lacht gehässig – oder herzlich? Das zu entscheiden bleibt wohl den Zuhörern überlassen.

Jenny, leiser:
Hoffentlich hast du Recht. 

Ich habe zumindest noch ein paar Tricks auf Lager, die ihr noch nicht kennt. Ich werde nicht sterben, ohne noch einmal jemanden richtig in die Kloake zu stoßen. Sagt man so bei uns.

Picus, auch leise:
Wieso willst du denn immer sterben? Denke doch mal daran, was dein Priester gesagt hat: Wir suchen einen Bernstein-Tempel. Was meinst du, ist der komplett in Bernstein gestaltet? Was das wert sein muss! Sicherlich hat dieser komische Magier, oder wer da auch immer in der Höhle hockt, auch noch mehr wertvolles Zeug angesammelt. Wenn wir das an uns gebracht haben, dann brauchen wir wieder deinen Eselkarren, um das abzutransportieren und du kannst Wilma endlich wieder Sold auszahlen, ohne dich in Vallaki unbeliebt zu machen.

Ja, schau nicht so, ich habe mich halt mal abends mit Wilma unterhalten. Ich finde sie ja echt süß, kann schon verstehen, weshalb du sie mitgenommen hast.

Zygon, aus dem Landeanflug rufend:
Da hinten ist schon der Berg, zu dem wir müssen. Aber da direkt hinter der nächsten Kurve steht auch jemand auf einer Brücke, bleibt jetzt mal zusammen.


Die Kohlezeichnungen im Text zeigen

Gladius den Waldläufer,
Zygon den Zygonier und
Frida, die Barbarin

und wurden von Christian Schrader gezeichnet.
Mehr von ihm könnt ihr auf https://elder-nerds.de/ finden.

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